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Kampf gegen Superkeime

29.10.2020

Ein Artikel der Süddeutschen Zeitung | Medizinische Forschung

Was tun, wenn gewöhnliche Antibiotika immer mehr an Kraft verlieren? Forscherinnen und Forscher entwickeln neue Ansätze gegen multiresistente Bakterien.

Von Ulrich Eberl

Im Krieg der unsichtbaren Welten sind sie die Meister: Mit allen Tricks kämpfen Bakterien um mehr Raum und Ressourcen. Sie haben chemische Kampfmittel erfunden – die Antibiotika -, um Konkurrenten auszuschalten. Sie verschaffen sich die Schlüssel zum Inneren fremder Zellen, legen deren Werkstätten lahm, zerstören die Wände. Doch auch die angegriffenen Bakterien wehren sich: Sie knacken die Kampfstoffe, werfen sie aus ihren Zellen oder ändern die Struktur ihrer Proteine so, dass die Attacke ins Leere läuft – kurz: Sie werden resistent. Manche verstärken ihre Festung durch eine zweite Membran, verstecken sich hinter einer Schleimschicht oder stellen sich tot. Im Extremfall überdauern sie Ewigkeiten. Im Juli 2020 gelang es japanischen Forschern erstmals, Bakterien aus Tiefsee-Sedimenten wieder zum Leben zu erwecken - nach einer Ruhepause von 100 Millionen Jahren.

Doch Mikroorganismen kämpfen nicht nur. Manche kooperieren auch, liefern sich gegenseitig Nährstoffe und tauschen Erbmaterial aus. Diese geheime Welt lebt in jedem Menschen: Etwa zwei Kilogramm des Körpergewichts eines Erwachsenen gehen auf das Konto von Bakterien. Menschen beherbergen mehr Bakterienzellen, als sie Körperzellen besitzen - im Darm, auf der Haut und den Schleimhäuten gibt es Tausende unterschiedlicher Arten. In diesem Ökosystem, dem Mikrobiom, geht es normalerweise friedlich zu. Bakterien helfen bei der Verdauung, verhindern die Ansiedelung gefährlicher Keime und trainieren das Immunsystem.

Viele Menschen tragen resistente Keime in sich. Ohne es zu wissen

Störungen können allerdings fatale Folgen haben. Bei Wunden, bei Transplantationen, beim Einsetzen künstlicher Gelenke oder einem geschwächten Immunsystem können pathogene Bakterien eindringen. Ärzte bekämpfen sie dann mit Antibiotika, die aus Bodenbakterien, Pilzen oder chemischen Synthesen stammen. Sie setzen meist an drei Angriffspunkten an: Entweder stören sie den Aufbau der bakteriellen Zellwand oder die Synthese lebensnotwendiger Proteine oder sie sabotieren die Replikation des Erbguts, also die Fortpflanzung. Doch je mehr man sie einsetzt, desto stumpfer werden diese Waffen. Immer mehr Bakterien schaffen es, die Wirkstoffe zu zerstören, sie aus dem Zellinneren zu schleusen oder das Design der angegriffenen Proteine zu ändern. Manche Bakterien sind bereits multiresistent, also unempfindlich gegen mehr als ein Antibiotikum, und es gibt sogar Superkeime, gegen die kein bekanntes Mittel mehr hilft.

Das Problem beginnt schon zu Hause. "Zehn bis 15 Prozent der Menschen, die in ein Krankenhaus kommen, tragen bereits multiresistente Keime in sich", sagt Petra Gastmeier, Direktorin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin an der Charité in Berlin. Die Gründe sind vielfältig. So erhält immer noch jeder fünfte Patient bei einer Erkältung ein Antibiotikum, obwohl dies bei Viren nicht hilft, oder Ärzte verschreiben bei einfachen Infektionen ein Breitbandantibiotikum, wo man besser zielgerichtet therapieren sollte. "Neben der Hygiene in Krankenhäusern ist die Sensibilisierung von Ärzten und Patienten wesentlich für einen vernünftigen, zurückhaltenden Einsatz von Antibiotika", sagt Gastmeier.

Doch auch Geflügel, Schweine und andere Tiere werden mit Antibiotika behandelt, und wenn diese Wirkstoffe in die Umwelt gelangen, breiten sich resistente Keime weiter aus. So fanden Forscher 2018 bei Wasserproben in Niedersachsen über 80 resistente Bakterienarten. Zwar ist laut dem Bundesamt für Verbraucherschutz seit 2011 der Antibiotika-Einsatz bei Nutztieren in Deutschland um 60 Prozent gesunken, aber er liegt mit 670 Tonnen pro Jahr immer noch so hoch wie in der Humanmedizin. Die Zahl der Todesfälle durch resistente Keime hat nach einer Studie der Seuchenschutzbehörde ECDC europaweit binnen acht Jahren sogar um ein Drittel zugenommen - auf 33 000 pro Jahr. "Resistente Erreger kosten fast so viele gesunde Lebensjahre wie Grippe, Aids und Tuberkulose zusammen", konstatieren die Autoren der ECDC-Studie.

2019 schlug die Weltgesundheitsorganisation Alarm und stufte Antibiotika-Resistenzen unter die zehn größten Bedrohungen für die globale Gesundheit ein: neben Luftverschmutzung, Klimawandel und Pandemien. Manche Experten sehen schon ein post-antibiotisches Zeitalter anbrechen, in dem wie vor 100 Jahren Menschen an den kleinsten Wunden sterben können. Denn fast alle großen Konzerne sind aus der Entwicklung von Antibiotika ausgestiegen, weil diese Wirkstoffe anders als Mittel gegen Krebs oder chronische Krankheiten keine großen Gewinne versprechen.

670 Tonnen
Antibiotika kommen jedes Jahr deutschlandweit sowohl in der Veterinär-, als auch in der Humanmedizin zum Einsatz. Zwar ist laut dem Bundesamt für Verbraucherschutz seit 2011 der Antibiotika-Einsatz bei Nutztieren in Deutschland um 60 Prozent gesunken, Expertinnen und Experten aber fordern eine weitere Senkung. Aus gutem Grund: Die Zahl der Todesfälle durch resistente Keime ist europaweit in acht Jahren um ein Drittel gestiegen – auf 33000 pro Jahr.


Wie sehr die Zeit drängt, schildert Stephan Sieber, Professor für Organische Chemie an der TU München: "Seit 2000 sind nur zwei Antibiotika mit neuen Wirkmechanismen auf den Markt gekommen", sagt er. "Wir brauchen dringend neue Strategien und Wirkstoffe." Siebers Team setzt daher seit zehn Jahren auf eher unkonventionelle Wege. Ihre jüngste Entdeckung ist der Wirkstoff PK150, bei dem es den Chemikern gelang, ein Krebsmedikament zum starken Antibiotikum umzubauen. Dafür wurde Sieber im Juli 2020 von einer internationalen Jury - darunter zahlreiche Nobelpreisträger - mit dem Future Insight Prize ausgezeichnet. Das Preisgeld von einer Million Euro stiftete das Unternehmen Merck.

PK150 attackiert Bakterien wie den multiresistenten Keim Staphylococcus aureus (MRSA), der oft auf der Haut oder in der Nase vorkommt und gefährlich wird, wenn er in Operationswunden gerät. Der Wirkstoff greift gleich zwei neue Ziele an: Er behindert den Energiestoffwechsel und beeinflusst zudem ein Enzym in der Zellmembran. "Zu unserer Überraschung haben wir herausgefunden, dass PK150 dieses Enzym nicht etwa hemmt, sondern seine Aktivität sogar erhöht", sagt Sieber. "Die Folge ist, dass zu viele Proteine aus der Zelle ausgeschleust werden. Die Bakterien platzen und sterben." Im Tierversuch an Mäusen war PK150 bereits erfolgreich und selbst nach wochenlangen Tests im Labor, bei denen künstlich die Mutationsrate der Mikroben erhöht wurde, fanden die Forscher keine Resistenzen. "Das liegt wohl daran, dass es für ein Bakterium deutlich schwieriger ist, eine Strategie gegen einen Angreifer zu entwickeln, der gleichzeitig auf zwei Schwachpunkte schießt, als wenn nur ein Protein attackiert wird", meint Sieber.

Bei PK150 arbeiten die Wissenschaftler noch ganz klassisch. Derzeit testen sie Hunderte chemischer Varianten, um die Effektivität und Sicherheit weiter zu erhöhen. In Zukunft soll aber auch künstliche Intelligenz helfen. Wie gut dies funktionieren kann, zeigte vor einigen Monaten der US-Forscher Jim Collins: Er trainierte einen Computer, antibakterielle Wirkungen bei Tausenden von Molekülen zu erkennen. Als die Maschine dann eine große Datenbank durchsuchte, fand sie einen Stoff, den die Forscher Halicin nannten. Ursprünglich war er für Diabetes vorgesehen, doch die KI prognostizierte einen starken antibiotischen Effekt - und hatte recht. Halicin wirkt zumindest im Tierversuch gegen etliche gefährliche Keime. Ob daraus aber ein Medikament wird, muss sich wie bei allen neuen Wirkstoffen erst noch zeigen, denn klinische Tests am Menschen sind aufwendig und dauern Jahre.

Doch vielleicht sollten Forscher auch ganz neu denken. Eine Alternative zu Antibiotika könnten Impfstoffe mit komplexen Zuckermolekülen sein. Charakteristische Strukturen aus solchen Polysacchariden finden sich auf der Oberfläche aller Bakterien. Präsentiert man sie dem Immunsystem, kann dieses anschließend gefährliche Eindringlinge schnell erkennen und bekämpfen. Das Problem dabei: Solche Riesenmoleküle lassen sich nur schwer chemisch herstellen. Pionierarbeit leistete hier Peter Seeberger vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam, als er mit seinem Team ein automatisiertes Syntheseverfahren entwickelte. Mittlerweile gibt es mehrere solcher Impfstoff-Kandidaten, die eine Pharmafirma derzeit in verschiedene Studien testet.

Ein anderer Weg könnte über Phagen führen - das sind Viren, die an Bakterien andocken, ihr Erbgut injizieren, die Zellmaschinerie für ihre Vermehrung nutzen und dann mit Hilfe spezieller Enzyme, der Endolysine, die Zellen von innen aufschneiden und ihnen entkommen. "Wir haben diese Stoffe so modifiziert, dass wir damit nun Bakterien auch von außen angreifen und in Bruchteilen von Sekunden zerstören können", sagt Markus Matuschka von Greiffenclau, einer der Gründer der Lysando AG, die diese sogenannten Artilysine entwickelt.

Die neuen Ansätze schenken Hoffnung. Doch noch braucht es weitere Studien

Diese Stoffe lagern sich aufgrund ihrer elektrischen Ladung an Bakterien an und destabilisieren ihre Wand, die dann durch den Innendruck platzt. Da hierfür kein Stoffwechsel nötig ist, wirken sie auch auf Keime, die geschützt hinter einer schleimigen Hülle aus Zucker, Proteinen und Lipiden - in Biofilmen - ruhen, bis sie wieder hervorbrechen und für den Menschen gefährlich werden. Man kann Artilysine daher zur Reinigung von Filteranlagen ebenso einsetzen wie zur Beschichtung von Implantaten. Lysando hat im Biopark in Regensburg bereits eine enorme Vielfalt dieser Artilysine hergestellt, über 200 Patente angemeldet und Lizenzen vergeben.

Resistenzen gegen die neuen Wirkstoffe sind bislang ebenso wenig gefunden worden wie Allergien oder andere Nebenwirkungen. Ein weiterer Vorteil: Da Artilysine Proteine sind, werden sie nach getaner Arbeit im Körper schnell zerlegt, sie gelangen nicht in die Umwelt. Ihre Wirksamkeit an Patienten haben sie in Wundsprays ebenso schon bewiesen wie nach Inhalationen bei einer durch Bakterien stark geschädigten Lunge. Dennoch gilt auch hier: Der Weg zur Zulassung als Arzneimittel ist noch lang - die kleine Firma Lysando setzt dabei auf Kooperationen mit anderen Unternehmen.

Schneller als beim Menschen könnten Artilysine bei Nutztieren zum Einsatz kommen, um den Antibiotikaverbrauch zu senken. "Beim Kampf gegen gefährliche Keime müssen wir Mensch und Tier gemeinsam betrachten", sagt Dietmar Zehn, Professor für Tierphysiologie und Immunologie. Zehn ist der Leiter des geplanten Zentrums für integrierte Infektionsprävention in Weihenstephan, für das die TU München vor wenigen Wochen von Bund und Land eine Förderzusage von 40 Millionen Euro erhielt. "Unser primäres Ziel ist es, die Wechselwirkungen von Bakterien mit Tier und Mensch besser zu verstehen und daraus Präventionsstrategien abzuleiten", sagt Zehn. "Wir wollen also Infektionen nicht bekämpfen, sondern sie von vornherein verhindern."

Doch wie genau kann das funktionieren? Vielleicht hilft hierbei das gesunde Mikrobiom bei Tier und Mensch, in dem nützliche Bakterien schädliche in Schach halten. "Möglicherweise lassen sich ja Wege finden, das Mikrobiom so zu beeinflussen, dass man die ökologische Nische für pathogene Erreger verkleinern oder ganz schließen kann", meint Zehn. Ein spannender Ansatz, der aber noch viel Forschungsarbeit erfordert, denn die Wechselwirkungen zwischen dem Ökosystem von Mikroben und dem Immunsystem sind noch kaum verstanden - zumal sich auch die Zusammensetzung des Mikrobioms ständig ändert, je nach Umgebung, Ernährung, Lebensstil. Und manchmal sogar im Lauf eines Tages.

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